Sonntag, 30. September 2007

Berlin Marathon 2007

Berlin erlebte ein rauschendes Marathonfest! 40.215 Teilnehmer gingen bei optimalen Wetterbedingungen an den Start. Für den äthiopischen Wunderläufer Haile Gebrselassie erfüllte sich ein lang gehegter Traum. Er lief in 2:04:26 eine phänomenale Zeit und unterbot den vor vier Jahren ebenfalls in Berlin von Paul Tergat aufgestellten Weltrekord um 29 Sekunden.

Soviel zum offiziell auf der Internetseite des Ausrichters SCC-EVENTS publizierten Rückblick.
Eine Verbesserung des Weltrekords um 29 Sekunden über eine Strecke von über 42 Kilometern, das macht etwa 0.7 Sekunden pro Kilometer oder umgerechnet eine Distanz von weniger als 160 Metern aus!

Noch knapper geht es fast nicht. Aber eben nur fast! Vergleiche ich meine persönliche Marathonbestzeit aus dem letzen Jahr in Berlin mit der diesjährigen Zielzeit, so ergibt sich eine Differenz von sage und schreibe 10 Sekunden, also 0.2 Sekunden pro Kilometer oder einer Distanz von etwa 35 Metern!

Über Ziele, Vorbereitung und Form: Nachdem ich im Jahr 2006 bei meiner Marathonpremiere das Ziel knapp jenseits der Marke von 3:30:00 erreichte, nehme ich mir im Stillen vor, in 2007 erstmals unter 3:30:00 zu finishen, ohne dies jedoch vorher an die große Glocke zu hängen.

Die 12 Wochen andauernden Vorbereitungen verlaufen gewissenhaft nach Plan und meine Formkurve bewegt sich unmittelbar vor dem Lauf voll im grünen Bereich. Um meinen subjektiven Eindruck zu untermauern, lasse ich eine Leistungsdiagnostik anfertigen. Das Ergebnis prophezeit mögliche Zielzeiten im Bereich zwischen 3:15:00 und 3:30:00. Das gesteckte Ziel erscheint realistisch ...

Showdown: Das große Wochenende steht vor der Tür! Gemeinsam mit Frau, Kindern und meinem Freund Ulli fahren wir bereits am Samstag mit dem Auto nach Berlin. Frau und Kinder sind bei Bekannten in Berlin untergebracht, während die Läuferschaft in einem Hotel residiert. Die Marathonmessen bieten aus meiner Sicht nichts aufregendes außer den Startunterlagen selbst, weshalb ich mir jeglichen weiteren Kommentar dazu erspare.

Sonntag, 7:00 Uhr: Aufstehen, ankleiden, Startnummer befestigen, frühstücken und ab zur S-Bahn. Alles funktioniert reibungslos. Langsam beginnt bei mir das schöne Kribbeln im Bauch.
Aufregung - Adrenalin - positiver Streß!
Von mir aus kann es sofort los gehen.

Sonntag, 8:15 Uhr: Die Temperaturen an diesem Morgen lassen Ulli und mich zu der Entscheidung kommen, uns erst sehr spät unserer Kleider an den gekennzeichneten Zelten zu entledigen. Da an diesem Morgen etwas mehr als 40.000 Läufer anwesend sind, wundere ich mich schon sehr, plötzlich dem Ehemann der Patentante unseres Sohnes zu begegnen. In Anbetracht dieses Zufalls reift in mir die Gewissheit, eines Tages Lotto-Milliorär zu werden.
Wir tauschen auf dem Weg zum Start noch einige Erfahrungen mit Hans Peter aus und entledigen uns ganz nebenbei an geeigneter Stelle der überschüssigen Flüssigkeit, welche anderenfalls erfahrungsgemäß bereits in der Startaufstellung zu Irritationen geführt hätte.

Sonntag, 8:55 Uhr: Es ist schon seltsam. Mit zeitlich fortschreitender Annäherung an den Startschuss steigt der gemessene Puls quasi asymptotisch in Richtung maximaler Herzfrequenz (HFmax), obwohl man sich abgesehen von leichten Dehnübungen nicht bewegt. Vielleicht ist gerade dieser Umstand, wohl bedingt durch erhöhte Ausschüttung von Adrenalin, die Ursache für die nun entstehende Leistungsbereitschaft, die man im Training so oft vermisst.

Die wohl nett gemeinte Ansprache des Berliner OB tangiert mich in diesem letzen Moment vor dem PENG! eher wenig. Das Pathos des Berlin Marathon entfaltet seine ganz eigne Dynamik. Alle Sinne sind nun auf einen Gedanken fixiert: Laufen - laufen - laufen ...

9:00 Uhr: PENG! Das Starterfeld setzt sich an meiner Position ca. 200 Meter hinter der Startlinie mit leichter Verzögerung in Bewegung. Zuerst mit kleinen Schritten, allmählich im schnellen Spazierschritt über den leichten Trab bis hin zum flüssigen Laufschritt. Kurz nach dem Überqueren der Startlinie streife ich mein "Wegwerflangarmshirt" (für solche Wortkreationen wird man übrigens in der restlichen Welt beneidet, da so etwas nur in der deutschen Sprache möglich ist) ab und werfe es einfach neben mich. Von nun an heizt sich der Körper selbst.

Wie gewohnt tendiert man adrenalingeschwängert und im Übermut dazu, die ersten Kilometer etwas zu schnell zu laufen. Dank modernster GPS Technik werden Ulli und ich jedoch ständig auf den Boden der Tatsachen zurück geholt. Wir bremsen uns erfolgreich auf das angestrebte Tempo von circa 5 Minuten pro Kilometer. Auch das Tempo für die folgenden Kilometer lassen wir uns von unseren technischen Helfern diktieren:

05 Km in 00:24:24, Pace 4:58
10 Km in 00:50:10, Pace 5:05
15 Km in 01:15:20, Pace 5:02
20 Km in 01:40:41, Pace 5:04

Sonntag, Km 21: Ulli und ich laufen bis zu diesem Punkt gemeinsam. Unsere Durchgangszeiten sind im Plan und wir laufen wie Uhrwerke. Allerdings hat Ulli das subjektive Gefühl, die geplante Pace nicht bis um Ende des Laufes durchhalten zu können (oder zu wollen?!). Im Vorfeld des Marathons hatten wir uns darauf geeinigt, die "Sache" gemeinsam zu beenden und uns bei Bedarf gegenseitig zu motivieren. Der Bedarf war nun von einem Moment auf den anderen ohne Vorankündigung existent! Ich bin einigermaßen verunsichert, wie ich mit dieser Situation umgehen soll. Ulli hat mir die Entscheidung abgenommen und mir unmißverständlich mitgeteilt, daß es ab diesem Moment besser für uns beiden ist, unser eigenes Tempo zu laufen (wofür ich mich an dieser Stelle bedanken möchte).

Wir haben uns getrennt: Ich versuche mein Tempo etwas zu forcieren, um die Pace der ersten 20 Kilometer von etwas über 5 Minuten pro Kilometer wieder in einen Bereich von 4:55 Minuten pro Kilometer zu drücken um das angestrebte Ziel von unter 3:30:00 noch zu erreichen. Zwar ist die Pace für die nächsten 15 Kilometer besser als die der ersten 15 Kilometer, es reicht jedoch bei Weitem nicht für eine Geschwindigkeit von unter 5 Minuten pro Kilometer.

25 Km in 02:05:49, Pace 5:01
30 Km in 02:30:44, Pace 4:59
35 Km in 02:55:51, Pace 5:01
40 Km in 03:21:33, Pace 5:08

Mit jedem Blick auf meine Uhr werde ich daran erinnert, dass die Chance auf eine Zielzeit unter 3:30:00 unwahrscheinlicher wird.

Sonntag, Km 42: Ich habe in meinem Innersten bereits vor ein, zwei Kilometern aufgegeben. Das gesteckte Ziel ist nicht mehr erreichbar. Es sind nur noch wenige hundert Meter bis zum Ziel. Ich fühle mich nicht schlecht, aber eben auch nicht gut genug um noch etwas gravierendes an meinem Ergebnis beeinflussen zu können. Innerlich freue ich mich in Erinnerung an 2006 schon auf das erhebende Gefühl unter den Anfeuerungsrufen unzähliger Zuschauer durch das Brandenburger Tor dem Ziel entgegen zu laufen. Es folgt der schönste Moment eines Marathonlaufs: Die Ziellinie überquert - vollkommen ausgepowert - trotzdem glücklich - den Tränen nahe ... es ist jedes mal wie beim ersten mal!




Chill Out: Wie bereits im letzten Jahr lasse ich mich von den hübschen Damen im Massagebereich auf dem Weg zwischen Ziel und Duschzelten ordentlich durchkneten. Auf der Liege nebenan kommt während meiner Behandlung ein Mann zu liegen, der leicht fahl im Gesicht und von Krämpfen gepeinigt eines seiner Beine nicht mehr ausstrecken kann. Die zuständige Physiotherapeutin rät dem Mann, sich gegebenenfalls einem "richtigen" Arzt anzuvertrauen, wohl in der Absicht aus der Liege keine Bahre werden zu lassen. Der Mann lehnt ab und nach vorsichtigem Ausstreichen der geschundenen Gliedmaßen kommt Farbe zurück in sein Gesicht.

Frisch massiert mache ich mich auf den Weg zu den sogenannten Duschen. Die Zelte sind vollkommen überfüllt, das Duschwasser ist jedoch noch ordentlich heiß. Leider muß ich beim Ankleiden meines nun wieder wohl riechenden Körpers feststellen, daß mein vorab bereit gelegtes Finisher-Shirt vermutlich bereits einen mir bis heute unbekannten Läufer kleidet, welchem ich auf diesem Wege raten möchte, besser auf meine Bekanntschaft zu verzichten!
Von dort aus mache ich mich, wie im Vorfeld des Laufs vereinbart, auf den Weg zu den Familientreffpunkten um dort meine Familie und Ulli zu treffen.

Das Wiedersehen verläuft sehr erfreulich. Alle sind bester Laune. Ulli ist bereits einige Minuten vor mir am Treffpunkt eingetroffen und man sieht ihm nicht im Geringsten die Strapazen der vergangenen Stunden an.

Wir entscheiden gemeinsam, noch einige Minuten das Geschehen zu genießen, bevor wir die Rückreise antreten. Auf der Autobahn heimwärts sehen wir viele vorbeifahrende Autos, an deren Rückspiegeln Medaillen lustig hin und her baumeln. Man winkt sich freundlich zu und lächelt. Wir sind glücklich!

Und wieder die Frage nach dem, was bleibt? 10 Sekunden langsamer als im letzten Jahr - soll ich mich nun darüber ärgern? Nein - gewiss nicht! Den kleinen zeitlichen Einbußen stehen zu viele schöne Erlebnisse des Wochenendes entgegen. Ich habe Freunde und Bekannte getroffen, die unglaubliche Stimmung des Berlin Marathons miterleben dürfen, bin gesund im Ziel angekommen und habe sogar Herrn Gebrselassie in punkto Knappheit des Ergebnisses eins ausgewischt :-)